Simon Moritz’ treffende Antwort auf die Modernisierungs-Kritik am Kulmbacher Zinnfiguren-Museum
Kulmbach, 3. April 2025
Sehr geehrter Herr Förtsch,
für Ihren offenen Brief an alle Stadträtinnen und Stadträte vom 31. März, der uns am gestrigen 2. April per Email weitergeleitet wurde, danke ich Ihnen.
Selbstverständlich antworte ich Ihnen sehr gerne, wenngleich ich mir erlaube, mich mit heutigem Schreiben auf das Thema „Zinnfigurenmuseum“ zu beschränken. Selbstverständlich freue ich mich aber bei Interesse auch über einen persönlichen Austausch mit Ihnen zu der geplanten Hotelansiedlung am Schwedensteg.
Bevor ich mich inhaltlich äußere, erlauben Sie mir bitte einige kurze Vorbemerkungen zu einigen Ihrer Ausführungen in der heutigen Presseberichterstattung, da diese aus meiner Sicht – sicherlich ungewollt – kein vollständig richtiges Bild vermitteln:
- Es ist korrekt, dass es während des Redebeitrags von Herrn AfD-Stadtrat Hock zum Zinnfigurenmuseum zu großer Empörung und – im Anschluss – zu einem Abbruch der Debatte kam. Die Empörung resultierte jedoch ausdrücklich nicht aus Herrn Hocks anfänglichen Ausführungen zum pädagogischen Umgang mit Geschichte – solange er hierbei blieb, hatte er die volle Aufmerksamkeit des Gremiums –, sondern weil er dies plötzlich zum Anlass nahm, in rassistischer Art und Weise allgemein über Kriminalität in der Gesellschaft zu schwadronieren. Die eigentlichen Ausführungen zum Zinnfigurenmuseum schienen Herrn Hock hierfür, das muss ich aus mehrfach gemachter Erfahrung leider unterstellen, nur als Aufhänger zu dienen.
- Nach Herrn Hocks Entgleisung verließ deutlich über die Hälfte aller Kolleginnen und Kollegen kurzzeitig aus Protest den Saal. Quer durch alle Fraktionen. Wie Sie selbst im Interview mit der Zeitung zu dem Schluss kommen, dies sei lediglich „die SPD“ gewesen und sie müssten sich wundern, weshalb „die SPD“ hier „Parteiinteressen“ über das Wohl der Allgemeinheit stelle, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. Vielleicht wurden Sie da auch nur missverständlich zitiert, aber das ist ja auch eher nebensächlich.
- Ganz persönlich darf ich noch vorwegschicken: Ich habe den Saal nicht verlassen, da ich Herrn Hock gerne inhaltlich geantwortet hätte – und ich hierfür bereits meinen Redewunsch beim Oberbürgermeister angezeigt hatte. Dies wäre mir nicht nur als Politologe und Historiker ein Bedürfnis gewesen, sondern vor allem auch als Besucher und „Fan“ des Zinnfigurenmuseums von Kindesbeinen an. Dieser Redewunsch wurde mir anschließend leider nicht ermöglicht, da sich der Stadtrat mit großer Mehrheit nach Herrn Hocks Ausfällen dazu entschloss, die Debatte sofort zu beenden.
Ob es sinnvoll ist, sich als Gremium selbst in solchen Situationen „mundtot“ zu machen und dadurch der AfD argumentativ das Feld zu überlassen, darüber müsste man tatsächlich mal selbstkritisch diskutieren. Ich betone aber auch: Ich sehe es nicht als Hauptproblem, wenn sich ein Stadtratsgremium aus Protest gegen die Ausfälle Einzelner zu einem solchen Schritt entschließt. Vielmehr ist es mehr als abstoßend, dass eine einzelne Gruppierung, die sich im Stadtrat gefühlt nur alle halbe Jahre mal überhaupt zu etwas inhaltlich äußert, diese seltenen Momente dann in der Regel auch noch für Entgleisungen und gezielte Provokationen nutzt. Sie stimmen mir sicher zu, sehr geehrter Herr Förtsch, dass der Stadt Kulmbach und ihren Bürgerinnen und Bürgern damit am allerwenigsten gedient ist.
Nun zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Museumskonzept, die aus meiner Sicht einer gewissen Versachlichung bedarf. Im Sinne dieser Versachlichung darf ich auch ausdrücklich auf das vor zwei Tagen erschienene und sehr kluge Zeitungsinterview mit dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft der Freunde und Sammler kulturhistorischer Zinnfiguren, Herrn Rainer Berthold, verweisen.
Dieses Interview hat viele aktuell emotional diskutierte Vorwürfe aufgegriffen und korrekt eingeordnet und ist damit der schwierigen Thematik auch in sehr differenzierter Art und Weise gerecht geworden.
Zur aktuellen Debatte: Natürlich ist die Aufregung nun bei einigen Bürgerinnen und Bürgern groß, die befürchten, jeglicher Anklang von Militarismus, kritischen Geschichtsepochen oder potenziellem Sexismus würde in Zukunft „gelöscht“, „entfernt“ oder in sonstiger Form „gecancelt“ werden. Bei vollständigem Studium des bislang diskutierten Grobkonzepts muss man einräumen: Ja, es gibt in diesem durchaus Passagen, die eine solche kritische Auseinandersetzung anmahnen.
Würde man dies in einer solch radikalen Form vollziehen, wie es einige Kritiker nun befürchten, dann würde ich dies selbst ebenfalls kritisch sehen. Um kurz ein Beispiel aus einer anderen Lebenswelt einzuflechten: Ich bin beispielsweise selbst auch nicht begeistert davon, wenn ein Spielzeugkonzern wie LEGO zunächst die Themenwelt „Ritter“ jahrelang aus dem Programm nimmt, diese dann über die Hintertür „für Erwachsene“ wieder einführt und am Ende den völlig unhistorischen und falschen Eindruck vermittelt, jeder zweite Ritter im Mittelalter sei weiblich gewesen. Der pädagogische Mehrwert dahinter erschließt sich mir persönlich auch nur bedingt.
Aber ich bin überzeugt: Solche Fragen sind definitiv nicht der zentrale Punkt unserer gegenwärtigen Debatte um das Zinnfigurenmuseum! Vielmehr geht es in allererster Linie und vorrangig darum, im Zinnfigurenmuseum zukünftig überhaupt so etwas wie eine „historische Einordnung“ anzubieten (Experten sprechen hierbei gerne von „Kontextualisierung“).
Sehr geehrter Herr Förtsch, Sie kennen das Museum ja offenbar sehr gut: Jahrzehntelang erhielt man dort als Besucher lediglich einen weißen kleinen Zettel, auf dem die Namen der einzelnen Dioramen in drei Sprachen aufgedruckt waren. „Nummer 87: Schlacht von Kunersdorf – Battle of Kunersdorf – Bataille de Kunersdorf“. Na herzlichen Glückwunsch, welch historisch-pädagogische Einordnung! Das zentrale Problem des Zinnfigurenmuseums war es noch nie (und ich bin überzeugt: wird es auch nicht werden), dass die „falsche“ Geschichtsvermittlung stattgefunden hat – aus meiner Sicht fand bislang überhaupt keine (oder zumindest viel zu wenig) Geschichtsvermittlung statt!
Stattdessen verließ man sich offenbar darauf, dass das (militär-)historisch interessierte Publikum schon genug Vorwissen mitbringen würde, um sich selbst durch die immer noch beeindruckend große Zahl an Dioramen und Schlachtgemälden zu arbeiten. Aber dies ist nicht Aufgabe eines Museums! Und wenn (nur als Beispiel) ein Diorama der Schlacht von Königgrätz 1866 zukünftig nicht einfach nur unkommentiert im Raum stehen würde (im wahrsten Sinne des Wortes), sondern von historischen Informationen über Politik, Militär und Gesellschaft Preußens und Österreichs und den Streit um eine groß- oder kleindeutsche Lösung begleitet wäre, dann wäre dies kein Ausdruck von „Cancel Culture“, sondern für uns alle ein sehr großer Gewinn.
In genau diesem Sinne werde ich persönlich das in der Zukunft zu präsentierende Feinkonzept für die Neugestaltung des Museums auch prüfen und auf dieser Grundlage dann meine Entscheidung fällen, ob dieses detaillierte Konzept dann der Stadt Kulmbach in der Umsetzung fast 3 Millionen Euro (abzüglich der zu erzielenden Förderungen) wert sein sollte oder nicht. Ich bin mir sicher: Die große Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen im Gremium sieht es genauso, denn nichts anderes – so „normal“ und unspektakulär es jetzt klingt – haben wir in der letzten Sitzung auch beschlossen.
Sehr geehrter Herr Förtsch, ich hoffe sehr, dass meine Antwort dazu beiträgt, auch bei Ihnen ein wenig die Besorgnis über die Zukunft des Zinnfigurenmuseums zu nehmen. Ich danke Ihnen nochmals für Ihr Schreiben und dafür, dass Sie sich auf verschiedenen Feldern so engagiert für Ihre und unsere Heimatstadt einsetzen – und stehe für weiteren Austausch, wenn Sie wünschen, sehr gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Simon Moritz
Stadtrat